Gutachten in Insolvenzzusammenhängen
 

Eine Kapitalgesellschaft o. ä. ist nach der einschlägigen Insolvenzordnung (InsO) im Falle einer

  • Überschuldung oder der
  • Zahlungsunfähigkeit

zwingend und ohne schuldhaftes Zögern verpflichtet, spätestens nach 3 Wochen, die Insolvenz in einer vorgeschriebenen Form anzumelden.

Abgesehen von den möglichen Formalfehlern, die Sache der Anwälte oder der Insolvenzverwalter / Insolvenzgerichte sind, ist eine Überschuldung (=Ü) oder Zahlungsunfähigkeit (=ZU), neben dem juristischen auch und vorrangig ein betriebswirtschaftliches Problem, also unser Feld. Firmen oder Unternehmen werden in Zahlen abgebildet und beurteilt, §§ sind idR. nur ein Rahmen oder das Hilfsmittel oder eine Konvention.

Hier kommt aber auch sofort die (Rechts)Politik ins Spiel.

Im Grunde ist eine Kapitalgesellschaft o.ä. überschuldet, also pleite, wenn deren Passiva größer als die Aktiva sind, das "Eigenkapital also aktiv mitarbeitet" oder sogar der (größte) Aktivposten ist. Alle Gläubiger würden dann nicht mehr voll befriedigt werden können. Hier gab es in der Vergangenheit in Insolvenznähe Probleme mit der Erfassung oder der Bewertung von Bilanzposten (mit oder ohne Rangrücktritt, wie muss dieser formuliert werden, going-concern oder Zerschlagungswerte, Ansatz von Firmenwerten, stillen Reserven, Zeithorizonte, etc.???) die Rechtsprechung und die Literatur sahen hier ein, zwei- oder gar dreistufige Überschuldungsprüfungen. Der Gesetzgeber wiederum hatte im Zuge der Finanzkrise Probleme mit großen Unternehmen in öffentlicher Hand und modifizierte den Überschuldungstatbestand dahingehend, dass dieser nur dann ein Insolvenzgrund ist, wenn das Überleben/Fortbestehen der Firma nicht wahrscheinlich sei. Die technische Formulierung ist anders, doch das Ergebnis ist Fakt dahingehend, dass eine Überschuldung als gerichtsfest belegbarer Zeitpunkt nicht mehr sinnvoll diagnostizierbar ist.

Der "Versuch", die Gerichtsbarkeit auszuhebeln schlug aber im Ergebnis fehl:

Auch eine ZU bedingt einen Insolvenzantrag.

Dieselbe hat der BGH - nach langem Zögern - in nunmehr ständiger Rechtsprechung in eine operable und relativ strenge Formel "gegossen": 90%/10%/3 Wochen

Ein Unternehmen muss grundsätzlich imstande sein, 90% seiner Verbindlichkeiten in einem Zeitraum von 3 Wochen abzuarbeiten/zu begleichen. Den kurzfristigen, also in der Regel fälligen Verbindlichkeiten der Passivseite einer Bilanz, müssen somit in etwa das gleiche Volumen an präsenten Zahlungsmitteln gegenüberstehen.

Gezahlt werden kann mit Kassenbeständen, Bankguthaben, Kreditrahmen und genehmigten Überziehungen.
Nicht gezahlt werden kann grundsätzlich mit Forderungen, Warenbeständen, Umlaufvermögen, Anlagevermögen oder gar betriebsnotwendigen Mitteln des Anlage- oder Umlaufvermögens. Dann wären zwar die laufenden Schulden bezahlt, aber die Gesellschaft hätte ihren laufenden und Einnahmen generierenden Betrieb eingestellt, wobei alle laufenden Kosten (Personal, Mieten, Pachten, Leasingverträge, etc.) weiterliefen. Oft wird dies von Geschäftsführern insolvenznaher Unternehmen verkannt.

Eine - auch nur kursorische - Einsichtnahme in die Bilanzstrukturen der etwa 1 Mio. GmbHs in D offenbart, dass mit dieser strengen Betrachtungsweise die ZU (weit) vor jeder strittigen Ü eintritt und einen Insolvenzantrag oder ernsthafte und dokumentierte Sanierungsbemühungen auslösen müsste. Nach unserer Erfahrung jedoch, werden diese Maßnahmen in über 90% der schlussendlich doch fallierten Firmen nicht einmal eingeleitet. Es wird oft "weitergewurschtelt" bis schlussendlich (oft die) AOK oder ein superverärgerter Gläubiger (z.B.: ein Bauherr) einen Insolvenzantrag stellt.

Hier erstellt sodann ein Insolvenzgutachter sein Insolvenzgutachten. Dies sind idR. sehr berufskundige Leute. Natürlich werden in diesem Gutachten schon ersichtliche Vermögensverschiebungen = Anfechtungsmöglichkeiten nach der InsO = Massegenerierung, angesprochen. Das Hauptaugenmerk des Gutachters gilt jedoch der Masse, deren Kostendeckungsfähigkeit für ein Insolvenzverfahren sowie einer eventuelle Betriebsfortführungsfähigkeit, einer Überlebensfähigkeit von Teilen der Unternehmung, insbesondere von Arbeitsplätzen.

Dieses Gutachten geht danach automatisch nach der MiStra (Regelung zur Mitteilung in Strafsachen) an die Staatsanwaltschaft und wird dort ausgewertet, ... und eventuell ein Ermittlungsverfahren, ein St-Verfahren eingeleitet.

Aus Sicht der betroffenen Gläubiger und der haftungsgefährdeten Geschäftsführer ist der Zeitpunkt der Eintritts der Insolvenzantragspflicht entscheidend für deren Einordnung als Alt- oder Neugläubiger, also die Frage Quotenschaden oder vollen Forderungsanspruch. Neben dem Zeitpunkt, als Frage des Zivilrechtes, der Haftungslagen, ist dessen Erkennbarkeit für die betroffenen Geschäftsführer ein wichtiger strafrechtlicher Aspekt.

Auch im Strafverfahren gegen betroffene Geschäftsführer kann derselbe ein Gutachten - zu seiner Entlastung - erstellen lassen. Dies ist oft sogar sehr sinnvoll. Der sehr kleine und hier namentlich bekannte Kreis der Gutachter, welche für die Staatsanwaltschaften oder die Gerichte arbeiten, sind oft eigene Angestellte/Beamte des Staates (und somit manchmal etwas zu Lasten der Beschuldigten, später dann Angeklagten vorgeprägt). Rein fachlich reicht das Spektrum hier vom promovierten Volkswirt oder einer Beamtin aus der Steuerfahndung bis zum abgebrochenen Bilanzbuchhalter mit nur kursorischen HGB-Wissen auf der anderen Seite.

Als Drittanbieter ist hier in Norddeutschland eine Firma aus dem Raume Hannover bekannt, deren Arbeiten allerdings kein WP-Siegel tragen, wie unsere Gutachten. Vor Gericht ist das "grosse Siegel" relativ unbekannt, da WPGs in Strafverfahren selten auftreten. Auf der anderen Seite ist unsere Erfahrung die, dass Rechtsanwälte zwar des öfteren sehr eloquent einem WP ein überlegenes Wissen im Bereich der - hier einschlägigen - Betriebswirtschaft abzusprechen versuchen oder gar im Zuge der DM/€ Umstellung, die Verkennung von Grundrechenarten bei fälligen und überfälligen Verbindlichkeiten zu unterstellen unternehmen. Doch werden RAs damit nach unserer Erfahrung aber nicht von dem Einzelrichter oder der Kammer in der Sache (er)hört, sondern nur formal korrekt angehört.

Nach unserer Kenntnis ist die Privatgutachterproblematik im Strafprozess nicht fachlich, sondern prozessual.

Der Gerichtsgutachter (der Staatsanwaltschaft) wird vom Gericht bestellt ist idR. vereidigt und unterliegt klaren Pflichten der StPO. Er vermittelt dem Gericht dort nicht per se vorhandenes, hier betriebswirtschaftliches, Wissen.

Ein Privatgutachter vertritt eine (seine) Meinung und kann das Gericht überzeugen oder nicht. Im Grunde muss er ja auch nicht die ganze Wahrheit sagen, wie der Beschuldigte/Angeklagte auch nicht. Er arbeitet nicht auf Augenhöhe mit/gegen den Gerichtsgutachter.

Dieses Formaldilemma ist aber mit der StPO lösbar: Ein Verteidiger darf den Privatgutachter gem. den §§ 220, 245 II StPO selber laden und dieser hat als dann geladener Gutachter den Status eines präsenten Beweismittels, er ist auf Augenhöhe mit dem Gerichtsgutachter, vergleichbar einem Alibizeugen im Mordprozess. Er ist dann formal kein Privatgutachter mehr, er muss die Wahrheit sagen! Natürlich verbleibt es bei der Entscheidungshoheit des berufenen Gerichtes. Das Gericht muss weder dem von der STA, noch dem vom Angeklagten "installierten" Gutachter glauben. Hier zählen dann die besseren Argumente, dass höhere Ansehen, etc., siehe vorstehend.

Da die Gutachter der STA für ihre Gutachten Wochen und Monate verwenden (können und auch brauchen), bedarf es hier einer frühen Beauftragung um durch rechtzeitige Anträge der Verteidigung bei der STA das zu begutachtende Volumen einsehen zu dürfen und ein fundiertes (Gegen-)Gutachten zu erstellen. Hier ist ein Grundsatzdissens zwar in der Theorie vorhanden, in praxi aber oft nicht gelebt. Auch eine Staatsanwaltschaft ist zur Wahrheitsfindung verpflichtet und ist einem berufserfahrenen Gutachter in Handelsbilanz- oder Insolvenzdingen oftmals durchaus aufgeschlossen.

Ein STA oder eine lSTA als berufserfahrener Verfahrensführer in der "kleinen oder großen Wirtschaft"strafabteilung ist idR. eher gewillt, einen wackligen Punkt gar nicht zur Anklage zu bringen, als vor Gericht damit "unterzugehen", (dann eventuell mit Dominoeffekt, einer "Infektion" seiner anderen Anklagepunkte).

Im Zivilprozess (z.B.: Schadenersatz gegen den Geschäftsführer aus Neugläubigersicht) stellt sich das Problem nicht. Jede Partei darf sich der von ihr gewählten Beweismittel bedienen.

Wir haben belegbare Gerichtserfahrungen als Gutachter.

Wir kennen das HGB, die InsO, die Anfechtungstatbestände, die Überschuldung uralt, alt und neu und die Zahlungsunfähigkeit betriebswirtschaftlich und nach den BGH-Regeln.

Wir kennen Prozessregeln und Prozesstaktiken.

Wir werden vor Gericht nicht die Unwahrheit sagen oder betriebswirtschaftlichen Unsinn vertreten oder gegen Regeln des Berufsstandes agieren.

Sinnvolle oder von der STA übersehene Entlastungsaspekte objektiver oder subjektiver Art vermögen wir aber aus Tausenden von Seiten Papier und Megabyte an Dateien herauszuarbeiten.
Wir sind Wirtschaftsprüfer, wir haben keine Angst vor Mengendaten, dies ist unser Tagesgeschäft.